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Von einem anderen Stern

Er kam, spielte und gewann die Herzen des Publikums. Lang Lang interpretierte am Karfreitag an den Interlaken Classics Camille Saint-Saëns‘ 2. Klavierkonzert auf seine unverkennbare brillante Weise.

Kommt er, kommt er nicht? Er kommt, doch anstelle von Beethoven spielt er Saint-Saëns. Darf er das einfach so? Er darf. Und wie! Das Publikum ist begeistert. Doch alles schön der Reihe nach.

Zakhar Bron, Vater der Interlaken Classics, erfolgreicher russischer Musikpädagoge, Violinist und Dirigent, präsentiert sein Zakhar Bron Festival Orchestra, das jedes Jahr neu zusammengesetzt wird und wohl deshalb bei Beethovens Ouvertüre zu Goethes Trauerspiel „Egmont“ nicht ganz zu überzeugen vermag. Die Einsätze der Bläser wirken zu wenig präzis, zu zaghaft die leisen Streicher-Passagen des vielgehörten und beliebten Stücks. Erst in den Forti-Stellen stellt das gut fünfzigköpfige internationale, motivierte Ensemble junger Musiker sein Können als Klangkörper unter Beweis.

Dann der junge deutsche Violinist Tassilo Probst.

Mit Tschaikowskis Violinkonzert, das der Komponist 1878 am Genfersee „wie im Rausch“ geschrieben hat, so Peter Iljitsch Tschaikowsky 1878 an seine Mäzenin Nadeshda von Meck, hat er sich viel vorgenommen. Der ohne Zweifel hochbegabte Schüler Brons besteht diese Herausforderung mit Bravour. Sein akkurates Spiel auf der warm klingenden Giovanni-Crancino-Geige aus dem Jahre 1690 versieht er mit grosser Ausdruckskraft und Virtuosität. Das Orchester entpuppt sich hier als idealer Begleiter in der Manier eines Kammerorchesters. Schade, dass das Publikum zwischen den Sätzen frenetisch applaudiert. Wie Probst es schafft, den Einstieg in den zweiten Satz zu meistern, zeugt von grosser Klasse und musikalischer Reife.


Foto Tassilo Probst: Foto Website www.tassiloprobst.de © Arlet Ulfers & Michael Herdlein


Und jetzt betritt Lang Lang die Bühne.

Seine früher oft clownesken Faxen hat er abgelegt. Am Steinway-Flügel spielt ein Pianist, der von einem anderen Stern zu kommen scheint. „Das Solo des Konzerts“, schreibt der Komponist Camille Saint-Saëns als Randnotiz, „muss wie eine dramatische Rolle angelegt und behandelt werden.“ Lang Lang scheint die Inkarnation eben dieser Rolle zu sein. Mit höchster Präzision, voller Energie und tiefer persönlicher Empfindung spielt der chinesische Weltstar das selbst von Meister Franz Liszt, der bei der Uraufführung von 1868 im Publikum gesessen hat, als „Konzert mit singulärem Charakter“ bezeichnete Werk. Auch hier störte der stürmische Applaus nach jedem Satz. Doch Lang Lang zog das Publikum, darunter zahlreiche asiatische, auch ganz junge Gäste, immer wieder mit seinen atemlosen Läufen und beseelten Pianostellen in seinen Bann. Dass er gern mit jungen Orchestermusikern zusammenspielt, beweist der passionierte Nachwuchsförderer ohne Allüren aber mit vielsagenden Blicken und klaren Einsatzhilfen an die einzelnen Orchester-Register. Das Resultat beflügelt rundum. Nach der Standing Ovation bedankt Lang Lang sich mit der beseelten Wiedergabe eines verträumten chinesischen Volkslieds und drei Stücken aus Bachs Goldberg-Variationen. So hatte das Publikum sich den langersehnten Auftritt des Klaviervirtuosen gewünscht. Hoffentlich beehrt er die Interlaken Classics bald wieder.

Angela Kreis-Muzzulini

Text: Angela Kreis-Muzzulini